2009
Preisträger:innen
In dem Moment, in dem Anna Maria Scholz die Bühne betritt, ist sie Anna Mateur. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Anna ist eine gute Freundin, Anna Mateur ein wuchtiger Vamp, Anna ist fürsorglich und hat einen feinen Gerechtigkeitssinn, Anna Mateur ist die unerschütterliche Frontfrau, die sich selbst als ein Fest feiert, nach ihren beiden Musikern greift, als wären die ihre Knechte fürs Fleischliche. Aber ganz so einfach ist es nicht. Die Bühnenfigur Anna Mateur ist ironisch gebrochen. Anna macht unverblümt aus ihrer Körperfülle Programm und singt den Bulimie-Swing. Ihre eigenen Lieder erzählen selbstironisch und spitz, aber auch selbstbewusst von ihr und ihrer Weltsicht. Wenn sie singt, wird alles andere zweitrangig. Die Stimme von Anna Maria Scholz ist ein Naturereignis. Ob zart und verletzlich, bluesig sich aus der Verzweiflung emporziehend, rockig herausgeröhrt, operrettensoubrettelnd oder chansonesk-sehnsüchtig; mit ihrer die üblichen Lagen und Stile überspringenden und durchtänzelnden Stimme findet sie den richtigen Ton für jede Gefühlslage. Töne, die doch immer die ihren sind.
Anna Maria Scholz wurde 1977 in Dresden als älteste von vier Geschwistern geboren. Alle von ihnen spielen mindestens drei Instrumente. Der Versuch, an der Spezialschule für Musik den Weg einer klassischen Musikerlaufbahn einzuschlagen, scheiterte. Von 1997 bis 2003 studierte sie an der Hochschule für Musik «Carl Maria von Weber» in Dresden Jazz/Rock/Pop. In dieser Zeit sang sie in der Funkband «Frontalgebläse» und wirkte bei verschiedenen Theaterproduktionen mit. Nach dem Abschluss vermerkte die Kritik: «Da kommt eine Wunderstimme». Im Herbst 2003 begann die Phase der Selbstfindung, sie gründete mit Daniel Wirtz und Reentko Dirks die Formation «Anna Mateur und Gitarristen» und schrieb eigene Varietéstücke, wie «Mutter Blamage und ihre Kinder» (2004) oder «Von schlechten Eltern» (2005), in denen sie natürlich auch sang. Seit 2005 tritt sie mit David Sick (Gitarre) und Stephan Braun (Jazzcello) als «Anna Mateur und die Außensaiter» auf. Zweimal (2004/2005) wurde sie zur Dresdnerin des Jahres gewählt. Und dann kamen die Preise: Cabinetpreis (2006), St. Ingberter Pfanne (2007), der Mindener Stichling (2008), die 1. Freiburger Leiter (2008) und der Deutsche Kleinkunstpreis (2008). Seit April 2008 tritt sie mit ihrem Liedprogramm «Bandaufstellung nach B. Hellinger» auf.
Leicht haben es Kabarettisten nicht – das wusste Joesi Prokopetz schon, bevor die Weltwirtschaft von der Krise eingeholt wurde: Gefangen in einem emotionalen Bermudadreieck aus Karrieretief, Beziehungskrise und finanzieller Schräglage wendet er sich an den Arzt seines Vertrauens, um zumindest aus medizinischer Sicht hervorragende Form bestätigt zu bekommen. Doch auch daraus wird nichts: Sein Arzt setzt sich vor der Befundbesprechung ins Ausland ab. Das lässt für den Protagonisten nur einen Schluss zu: Er ist nicht nur unschuldig verarmt und umsummt von der stillen Dramatik der Bedeutungslosigkeit, er ist darüber hinaus vermutlich auch noch unheilbar krank. Am Ende seiner Kräfte angelangt, kann Joesi Prokopetz‘ Alter Ego dem Leben weder etwas Positives abgewinnen, noch wagt er, es selbst zu beenden.
Unterwegs im «World Wide Web» trifft er auf Tolstoi, einen russischen Auftragskiller. Ihn heuert Prokopetz an, um das zu vollenden, was der Kabarettist selbst nicht vermag: Dem Leben ein Ende zu setzen. Kaum ist der Killer engagiert, wendet sich für den Künstler alles zum Guten. Der Grund, verfrüht aus dem Leben zu scheiden, ist damit verschwunden – ebenso der Zugriff auf Tolstois URL, den Uniform Resource Locator im Netz. Der Wunsch «Bitte nicht schießen» bleibt ungelesen... «Die meisten Menschen schlafen nur deswegen gut, weil sie so fade Sachen träumen», sagt Joesi Prokopetz angesichts dieser ungemütlichen Situation und schickt seinen Protagonisten auf die kabarettistische Achterbahn; eine Reise, bei der tiefe Abstürze, halsbrecherische Loopings, aber auch Höhenflüge vorprogrammiert sind.
Joesi Prokopetz erweist sich in seinem Solo «Bitte nicht schießen» einmal mehr als fabelhafter Geschichtenerzähler. Lebensängste, die Bedeutungsvielfalt des österreichischen Idioms, tragisch-komische Momente des Alterns, warum die meisten Selbstmorde um 04:48 Uhr geschehen und der Österreicher aussterben wird – all diese Themen beschäftigen ihn bei seiner humoristischen Suche nach einem Auftragskiller.
«Leben ist, wenn‘s Lämpchen glüht, Tod ist, wenn man’s nicht mehr sieht...»
Joesi Prokopetz kommentiert seit 1997 den Alltag und seine hinterhältigen Überraschungen als Solokabarettist. Schon in den 1970er Jahren verfasste er legendäre Austropop-Songs, wie «Da Hofa» oder «Es lebe der Zentralfriedhof». Prokopetz schrieb die Texte für die Alpine Rocky Horror Show «Der Watzmann ruft» und mit der Band DÖF (Deutsch-Österreichisches Feingefühl) kreierte er Hits wie «Codo – ich düse im Sauseschritt», «Taxi» oder «Trude – die Teufelstaube». Ausserdem ist Joesi Prokopetz ist auch als Autor und Schauspieler aktiv.
Manuel Stahlberger ist vor allem eines: Erfinder. Er erfindet Geräte, die scheppern, klingen und singen, und Geschichten von geradezu abenteuerlicher Alltäglichkeit.
Begonnen hat alles 1996 mit dem Duo «Mölä & Stahli» (Manuel Stahlberger und Moritz Wittensöldner) und mit Wortschlaufen, die die beiden Ostschweizer in minimalistische Chansons verpackten. Die schweizweit überraschendsten Reime und charmantesten Klangspielereien wurden 2001 mit dem «Prix Walo» in der Sparte Kleinkunst/Comedy ausgezeichnet.
Die zweite Duo-Formation, mit der Manuel Stahlberger auf sich aufmerksam machte, gründete er zusammen mit Stefan Heuss. Ihr Instrumentarium bestand aus Kuriositäten wie einem Flip-Flop-Didgeridoo, einer Pneu-Hebebühne, einer Pingpongkanone, einem Aufräumteppich und einer Verschwindwurst. Zwischen 2003 und 2006 staunten und sangen «Stahlbergerheuss» unter anderem über den Mann auf dem Kran, über ein Weekend für Verlierer, über Familienaufstellungen, Architekturfotografen und den Mister Schweiz.
Als Erfinder und Tüftler naturgemäss ein Einzelgänger, tritt Manuel Stahlberger dennoch nur selten als Solist auf. Die Begleiter auf seiner aktuellen Expedition in neue Klangwelten sind Christian Kesseli, Marcel Gschwend und Michael Gallusser. Zusammen sind sie «Stahberger & Band» und veröffentlichten am 23. Januar 2009 ihre erste CD: «Rägebogesiedlig». Das Label Faze Records verspricht zurecht: «Das sind lakonisch rockende, filmisch rollende moderne Moritaten mit hohem poetischem Anteil.»
Manuel Stahlberger ist in der Ostschweizer Kleinkunst ein Fixstern, der als Bühnenpartner immer wieder neue Instrumenten- und Klangerfinder in seinen Bann zieht. Die Kraft, die diesen Kosmos zusammenhält, steckt in Manuel Stahlbergers unverkennbaren Texten, die mit der Sprache jonglieren, mit ironischem Hintersinn überraschen und die Sympathie für unsere verschrobensten Zeitgenossen niemals aufgeben.
Manuel Stahlberger, geboren 1974, ist Kabarettist und Comiczeichner. Er lebt und arbeitet in St. Gallen.