Salzburger Stier

2020

Preisträger:innen

Sie ist Feministin, obwohl sie sich wünscht, wir bräuchten keinen Feminismus mehr. Sie kommt maximal unaufgeregt daher und erntet trotzdem Hasskommentare. Sie postuliert «Kämpfen ist Kacke» – und geht dennoch keiner Diskussion aus dem Weg. Sarah Bosetti lebt mit diesen Widersprüchen und macht daraus Kunst – auf der Bühne, in den sozialen Medien und regelmässig im Radio.

1984 in Aachen geboren und aufgewachsen, studierte sie zunächst in Brüssel Filmregie und lebt heute in Berlin. Sie startete im Poetry Slam, gründete die Berliner Lesebühne «Couchpoetos» und wurde 2013 im Team Mikrokosmos erstmals deutschsprachige Vizemeisterin im Poetry Slam.

Seitdem überschreitet Sarah Bosetti mühelos jegliche Genregrenzen und bringt Formen des Slams, der Lesung, des Stand-ups und des politischen Kabaretts in ihrem ganz eigenen Stilmix auf die Bühnen. Sie schreibt Bücher, verfasst wöchentliche Radiokolumnen für öffentlich-rechtliche Sender und ist längst in allen relevanten Satire- und Fernsehsendungen vertreten. Vor allem aber gelingt Sarah Bosetti die Verbindung zwischen analogen und digitalen Ausspielwegen. Mit ihren viel geklickten Videos und ihren fast täglichen Beiträgen auf allen relevanten Plattformen der Sozialen Medien, trägt sie zu einem regen, gesellschaftspolitischen Diskurs bei und hat Massstäbe gesetzt für nachfolgende Generationen junger KünstlerInnen.

Sarah Bosetti stellt sich und ihrem Publikum Fragen, lässt ihren Gedanken Raum, sich zu entwickeln, um dann im entscheidenden Moment gekonnt zuzuspitzen – stilistisch und inhaltlich. Sie thematisiert Populismus und Feminismus, seziert die Sprache des Alltags und setzt auf Diskurs und Austausch auch jenseits der eigenen Filterblase. Dabei bezieht sie immer wieder klare, politische Positionen und scheut keine Kontroverse. Als Antwort auf die oft sexistischen und persönlich verletzenden Kommentare hat sie sogar ein eigenes Genre entwickelt. Sie verwandelt Hasskommentare in Liebeslyrik. So auch in ihrem neuen Buch und Programm «Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe». Schöner und entlarvender nimmt derzeit wohl niemand auf deutschen Bühnen den populistischen, lauten Stimmen den Wind aus den Segeln.

«Ein Kabarettist, der von allen geliebt wird, ist wie ein Türsteher, der jeden hereinlässt, der hat seinen Beruf verfehlt», sagt Florian Scheuba und gibt damit schon die Richtung vor, wo er seinen Platz in der Kabarettszene sieht. Die schnelle Pointe, die dazu verleitet, den naheliegenden Witz über den Inhalt zu stellen, ist seine Sache nicht. Florian Scheuba bewegt sich lieber ausserhalb der Wohlfühlzone - dort, wo die Pointe sitzt, trifft und trotzdem von hohem Unterhaltungswert ist. Das hat damit zu tun, dass Scheuba penibel recherchiert und die Satire mit der Ernsthaftigkeit eines Aufdeckers betreibt. Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter und einer der renommierten österreichischen Investigativ-Journalisten, schreibt über den Kabarettisten, dass er sich spätestens mit seinen Soloprogrammen endgültig als subversiver Bühnenaktivist enttarnt habe.

Auf der Bühne steht der Wiener Florian Scheuba seit seiner Schulzeit in den frühen 1980er Jahren. Er war Mitbegründer, Autor und Akteur des parodistischen Theater-Kabaretts «Die Hektiker» das es im Lauf seiner Geschichte auf 15 Programme und 1991 mit dem Studioalbum «Endlich!» auf Platz 1 in der Hitparade brachte.

In unterschiedlichen Ensembles hat Florian Scheuba für pointierte Charakterdarstellungen und politisch fundierte Satire gesorgt. Er war u.a. Miturheber und Darsteller bei den ORF Fernsehsatiren «Die 4 da» und «Wir Staatskünstler», Koautor der mit dem Salzburger Stier prämierten Satire «Cordoba». Er brillierte im Duo mit Thomas Maurer und mit Österreichs TV-Kaiser Robert Palfrader, er feierte Erfolge als Kolumnist und Buchautor.

2015 stand Florian Scheuba erstmals als Solist auf der Bühne und wurde für sein Programm «Bilanz mit Frisur» mit dem Österreichischen Kabarettpreis prämiert. Drei Jahre später stellte er sich mit seinem Solo «Folgen sie mir auffällig» erneut in den Dienst der Aufklärung. Und weil Florian Scheuba politische Fakten und Zusammenhänge wohl bekannt sind, trifft es ihn nicht unvorbereitet, dass Realität und Satire oft nicht mehr zweifelsfrei voneinander zu unterscheiden sind.

Er bringt’s im Untertitel seines aktuellen Bühnenprogramms gleich selber auf den Punkt: «Renato Kaiser in der Kommentarspalte. Satire für Hirn und Herz». Renato Kaiser, der Schweizer Gewinner des Salzburger Stiers 2020, überzeugt durch sein präzises, eigenwilliges Denken, seinen Charme und sein mitreissendes Temperament.

Renato Kaiser kommt 1985 in Goldach am Bodensee zur Welt. Mit 20 – er ist inzwischen Student an der Universität Fribourg – nimmt er zum ersten Mal an einem Poetry Slam teil. Es folgen Slams im ganzen deutschsprachigen Raum und 2012 der Titel des Schweizermeisters. Aber Renato Kaiser ist nicht nur Slam Poet, denn er verfügt über das aussergewöhnliche Talent, sein satirisches Können in mannigfache Richtungen zu entfalten: Als humoristischer Schriftsteller veröffentlicht er «uufpassä, nöd aapassä! Erlebnisse aus der Selbsthilfegruppe für Anonyme Ostschweizer» (2012) und «Neutralala, Schweiz – ein Heimatbuch» (2013). Seine ersten Kabarett-Programme heissen «Es war nicht so – ein Nachruf» (2010) und «INTEGRATIONAL – Ein Abend für Schweizer, Deutsche, Ostschweizer, Löwenzähne und andere Randgruppen» (2013). Er ist Mitbegründer der Lesebühne «Rauschdichten», Gastgeber der Satire-Show «Kaiser-Schmarren» (im Casinotheater Winterthur) und Präsident des Vereins spoken-word.ch. Er publiziert die Video-Kolumne «Kaiserschnitt» auf dem Newsportal watson.ch und alle zwei Wochen ein aktuelles «Kaiservideo» (Facebook und YouTube). Im Radio ist Renato Kaiser mit pointierten Wochenkommentaren in der «Zytlupe» auf SRF 1 präsent und im Schweizer Fernsehen, wo schon lange keine Comedy-Sendung mehr auf ihn verzichten will, hat er im Sommer 2019 die erste Staffel seiner eigenen Doku-Comedy-Reihe «Tabu» gezeigt.

Bravourös spielt Renato Kaiser mit den Regeln der unterschiedlichen satirischen Genres. Mit seinem Sprachwitz verzaubert er das literarische Publikum, etwa dann, wenn er von seinem «Bernout» erzählt, dem Martyrium, das er wegen seiner Ostschweizer Mundart in Bern erdulden musste. Im Fernsehen zeigt er gerne seine clowneske Seite: Er leiht dem Comedy-Kollegen Dominic Deville seinen polierten Glatzkopf als Glaskugel und wirft für ihn einen spöttischen Blick in die Zukunft; in «Late update» (mit Michael Elsener) spielt er den schneidigen Aussenreporter. Ganz anders tritt Renato Kaiser in seiner eigenen TV-Sendung auf: In «Tabu» macht er Witze über Kranke und Behinderte, und die Betroffenen lachen herzhaft mit. Hier, am äusseren Rand der Satire, ist Renato Kaiser am stärksten. Mit klaren Worten, mit keinem einzigen falschen Ton, thematisiert er das Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer oder das Tötungsdelikt am Frankfurter Bahnhof im Juli 2019. Darf das Satire? Renato Kaiser darf das, weil er messerscharf argumentiert, ohne zu verletzen; weil er laut werden kann, ohne zu brüllen; weil er zugibt, überfordert zu sein, und ihn genau das zum Weiterdenken anspornt. Manchmal ist Humor eine Mutprobe. Renato Kaiser riskiert viel und gewinnt: 2020 den Salzburger Stier, seinen ersten internationalen Kabarett-Preis. Dieser wird ihm am 16. Mai in Köln verliehen.

Galaabend

Preisträgerabend