2021
Preisträger:innen
Moritz Neumeier, Poetry Slammer, Stand-Up-Comedian und Kabarettist, spricht gern über das Leben, die eigene Ehe, Kinder, das ständige Scheitern an selbstgesetzten Ansprüchen. Er tut dies mit provozierendem Humor, das Lachen bleibt einem zuweilen im Halse stecken. Wie leben wir eigentlich zusammen? Die Frage zieht sich durch – und das Politische ist immer nur einen Gedankensprung entfernt.
1988 geboren und gemeinsam mit sieben Geschwistern in Schleswig-Holstein aufgewachsen, nahm Neumeier seit 2008 an Poetry Slams in Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. 2012 hatte sein Bühnenprogramm «Satire macht frei» Premiere. Sein wöchentlicher Videoblog «Auf eine Zigarette mit Moritz Neumeier», seit seiner 100. Folge und auf Wunsch seiner Frau unter dem Namen «Auf einen Kaffee mit Moritz Neumeier», wurde unter anderem von ZEITonline und FUNK, dem jungen Medienangebot von ARD und ZDF, präsentiert. In ihm redet Neumeier vorrangig über gesellschaftliche Themen wie Fremdenhass und Sexismus. Seit 2017 präsentiert Moritz Neumeier zudem gemeinsam mit Till Reiners den Satire-Podcast «Talk ohne Gast». Respekt- und tabulos, unbeeindruckt von den Fragen des guten Geschmacks, talken und scherzen sich die beiden durch alle Themen ihres Lebens, der Politik und Gesellschaft.
Moritz Neumeier scheut sich nicht, auch Themen aufzugreifen, die nicht lustig sind, wie etwa die Benachteiligung von Frauen. Dass er es mit den Grenzen politischer Korrektheit nicht immer genau nimmt, gehört dazu. Es macht einfach Spass, ihm zuzuhören, wie er zu weit geht. Denn Moritz Neumeier ist ehrlich. Und lustig. Jedenfalls meistens. Nur manchmal tut es weh. Wie das Leben eben.
Was die Stand-up-Comedy vor allem im angloamerikanischen Raum schon seit Jahrzehnten ausmacht, bringt Neumeier in die deutsche Kabarett-Szene ein: eine selbstverständliche Mischung von Privatem und Persönlichem, gepaart mit politischen Unkorrektheiten und einem unverkrampften Umgang mit heiklen Themen. Er hat eine entwaffnende Art, sie anzusprechen und beim Namen zu nennen. Für Probleme, die er aufs Korn nimmt, bietet er keine Lösungen an. Aber wie er sie präsentiert, hintersinnig, provokant, zum Nachdenken herausfordernd – das ist von ungeheurer Lässigkeit, die alles andere als eine blosse Attitüde ist.
Thomas Stipsits, Kabarettist, Schauspieler und Autor Jahrgang 1983, schreibt seit seiner Schulzeit Sketches und Lieder. Für die Produktion «nachgedacht» wurde er bereits als Siebzehnjähriger mit dem Kärntner Kleinkunstpreis gewürdigt.
Obwohl Thomas Stipsits das Publikum buchstäblich im Sturm eroberte, blieb er bescheiden und zitierte in den ersten Jahren auf der Bühne gern Josef Hader: «Als junger Kabarettist hast Du beim ersten Verkehrsunfall mehr Zuschauer als beim ersten Soloprogramm». Mittlerweile hat er fünf Soloprogramme, zwei satirische Kleinkunststücke und eine Werkschau hinter sich gebracht.
Thomas Stipsits ist Steirer mit familiären Wurzeln in Stinatz, im Burgenland. Eine Herkunft, die zur Satire verpflichtet: stammt doch der österreichische Altmeister des Kabaretts, Lukas Resetarits, ebenfalls aus dieser burgenlandkroatischen Gemeinde im Südosten Österreichs. Eine Gegend, die sowohl von der kroatischen Kultur als auch von starken Traditionen bestimmt ist.
Thomas Stipsits ist ein Geschichtenerzähler der neuen Generation: er entwickelt sehr komplex konstruierte Handlungsabläufe, die von persönlichen Erfahrungen geprägt sind und gleichzeitig der Tradition des «Schmähführens» eine zeitgemässe Dimension verleihen. Als bekennender Freund von Massenszenen entwickelt Thomas Stipsits in seinen Programmen sehr einprägsame Charaktere, die gleichsam das Sittenbild des österreichischen Mikrokosmos widerspiegeln. Scheinbar harmlose Zeitgenossen, deren emotionale Basisausstattung auf naive Weise Charme, Niedertracht und Unbedarftheit vereint. Diese spezifische Gemengelage versteht der Kabarettist mit viel Witz und Geschick auf der Bühne umzusetzen.
Seine gewinnende Art hat Thomas Stipsits beim Publikum zu hohen Sympathiewerten verholfen. Denn was auch immer er auf der Bühne sagt: er bleibt einer von ihnen.
Wenn Thomas Stipsits kabarettistische Referenzen nennt, kommen für ihn nur zwei Personen in Frage: Lukas Resetarits und Gerhard Polt. Beide sind für ihn als Geschichtenerzähler ebenso relevant wie beispielgebend.
In den vergangenen Jahren hat sich Thomas Stipsits als vielseitig begabter Künstler erwiesen. Er wirkte in Filmen wie «Baumschlager» oder «Love Machine» ebenso mit, wie im Fernseh-«Tatort» oder in der Serie «Vorstadtweiber».
Gemeinsam mit dem Schauspieler Manuel Rubey entwickelte Thomas Stipsits die beiden Stücke «Triest» und «Gott und Söhne», die im gleichen Masse von anspruchsvoller Handlung, Massenszenen und satirischen Elementen geprägt sind.
Sein erster Krimi «Kopftuchmafia», der das dramatische Ende einer Hochzeit in Stinatz zum Inhalt hat, ist bisher 50.000 Mal verkauft worden.
Und im Spätherbst 2020 erscheint bereits sein zweiter Stinatz-Krimi namens «Uhudler Verschwörung».
In seiner aktuellen Werkschau «Stinatzer Delikatessen» hat sich Thomas Stipsits nicht nur mit dem Alltag in der kleinen burgenlandkroatischen Gemeinde beschäftigt, sondern auch mit der jüngeren Popgeschichte. Seine Vorliebe für dieses Genre und seine parodistische Begabung bescheren dem aktuellen Programm eine Reihe sehr bemerkenswerter Musik-Medleys.
Lara Stoll gilt als die Punkerin der Schweizer Poetry-Slam-Szene. Diesen Ruf geniesst sie, weil sie es liebt, auf der Bühne laut und anarchistisch zu sein. Ihre Texte sind oft ein einziges, kunstvoll gebautes Crescendo. Doch dann, plötzlich und unerwartet, zeigt die Exzentrikerin ihre Zerbrechlichkeit. Diese spannungsvolle Mischung macht die junge Ostschweizerin zu einer unverwechselbaren Figur auf den deutschsprachigen Bühnen. Dass sie neben ihren Bühnen-Programmen auch mit Filmen und Musik von sich reden macht, rundet das Bild dieser vielfach begabten Künstlerin ab, die mit dem Salzburger Stier 2021 ausgezeichnet wird.
Lara Stoll wurde 1987 in Schaffhausen geboren und wuchs im Thurgau auf. Schon früh zog es sie auf die Bühne und so wurde sie 2006 Poetry-Slam-Schweizermeisterin in der Kategorie U20. Im gleichen Jahr bestätigte sie diesen Erfolg mit dem Gewinn der Deutschsprachigen Meisterschaft in derselben Kategorie. Doch damit begann er erst, der unaufhaltsame Aufstieg der Lara Stoll: 2010 gewann sie die Slam-Poetry-Schweizermeisterschaft. Und ebenfalls 2010 entschied sie mit dem Text «Weshalb ich manchmal gerne ein John Deere Traktor 7810 wäre!» die ersten Slam-Europameisterschaften im französischen Reims für sich.
Nachdem sie als Slam-Poetin alles erreicht hatte und seit 2010 erfolgreich mit ihrem ersten Bühnen-Solo «Hanni, Nanni & ich» auf Tournee war, absolvierte sie von 2011 - 2015 ein Filmstudium an der Zürcher Hochschule der Künste. Mit dem Kollektiv «Bild mit Ton» produziert sie seit 2013 experimentelle Videos und Kinofilme wie beispielsweise «Das Höllentor von Zürich». 2015 gründetet sie die Punkband «Pfffff», aus der später das Synth-Pop-Techno Projekt «Stefanie Stauffacher» entstand. Aktuell spielt Lara Stoll in der TV-Krimi-Komödie «Advent, Advent!» eine Hauptrolle.
Lara Stoll bleibt sich selbst immer und überall treu und setzt dem Publikum schonungslos vor, was ihre schräge Fantasie ihr zuträgt. Ihre Geschichten beginnen oft im Alltäglichen, Privaten und Banalen. Sie wartet vergeblich auf den Pizza-Lieferdienst oder kämpft mit dem Staubsauger, der nicht mehr in den Schrank passen will. Alles keine Tragödien, eigentlich, doch dann nimmt Lara Stolls Performance Fahrt auf, sie beginnt zu zetern, zu schäumen und zu poltern und schon driften ihre Alltagsgeschichten ab ins Apokalyptische oder werden einfach nur wunderbar grotesk. Auf dem Höhepunkt der Eskalation hilft oft der Griff zur Gitarre oder zu irgendeinem absurden Requisit. An diesen schrägen Blödeleien hat Lara Stoll eine ungeniert kindliche Freude – schliesslich weiss sie genau, wann der Moment da ist, um wieder ernst zu werden.
Nach ihren Bühnen-Programmen «Krisengebiet» und «Krisengebiet 2 – Electric Boogaloo» trägt ihr jüngstes und viertes Solo-Programm den scheinbar ungetrübten Titel «Gipfel der Freude». Als hätte sie geahnt, dass sie dafür und für ihr bisheriges Schaffen den Gipfel-Preis der deutschsprachigen Kabarettszene gewinnt, den Salzburger Stier 2021.
Der Grossmeister der skurrilen Rituale und wunderlichen Denkmanöver, der Kabarettist Joachim Rittmeyer, wird für sein unverwechselbares Bühnenschaffen ausgezeichnet: Er erhält den Salzburger Ehrenstier 2021. Es ist nicht Rittmeyers erster Salzburger Stier. Schon 1982, anlässlich der allerersten Verleihung des internationalen Radio-Kabarett-Preises hiess der Schweizer Gewinner Joachim Rittmeyer. Jury und Publikum waren begeistert von seinem verspielt aufmüpfigen Figuren-Kabarett. Heute, rund 40 Jahre und 20 Bühnenprogramme später, ist Joachim Rittmeyer der diskrete Doyen des Schweizer Kabaretts. Er wird verehrt für seinen ebenso subversiven wie liebenswürdigen Humor, sein virtuoses Spiel mit Schweizer Macken und Dialekten, seine Musikalität und seinen Mut zur kompromisslosen Entschleunigung.
Joachim Rittmeyer ist in St. Gallen geboren (1951) und aufgewachsen. Nach seiner Erstausbildung als Lehrer und zwei Jahren Journalismus brachte Joachim Rittmeyer, 23jährig, sein erstes Solo-Programm «Lachen und Pfützen» zur Uraufführung. Es folgten, meistens im 2-Jahres-Rhythmus, 20 weitere Solo-Programme mit unverkennbar rittmeyer’schen Titeln wie «Streng öffentlich», «Bitte recht feindlich!», «Der Untertainer», «Copy Cabana» oder jüngst «Neue Geheimnische». Neben seinen Solo-Abenden realisiert Joachim Rittmeyer interdisziplinäre Kulturprojekte, führt Regie (u. a. bei Karl’s Kühne Gassenschau) und erfindet Gesellschaftsspiele (z. B. «Wahlspiel» zusammen mit Urs Hostettler). Parallel zu seinem aktuellen Solo-Programm («Neue Geheimnische») spielt Joachim Rittmeyer zurzeit zusammen mit Patrick Frey die Duo-Komödie «Der letzte Piepser», in der die beiden Fast-Siebziger mit viel Selbstironie ein mögliches Sterben auf der Bühne inszenieren. Heute lebt und arbeitet Joachim Rittmeyer in Basel und im Jura. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Joachim Rittmeyer war immer ein Gegner des «Unkrautvertilgungskabaretts». Sein Genre ist das detailgenaue Figuren-Kabarett. Mit verblüffender Leichtigkeit wechselt er auf der Bühne von einer Rolle in die andere. Zu seinen dienstältesten und bekanntesten Figuren zählen der Schwerenöter Hanspeter Brauchle mit dem gelben Strick-Pulli und der Welterklärer Theo Metzler mit der verrückten Brille. Rittmeyer, Brauchle und Metzler sind zusammen älter geworden, aber Rittmeyer gelingt es in der Rolle des jugendlichen Paddy noch heute, wie ein Boxer im Ring über die Bretter zu tänzeln. Was all seine Figuren verbindet, ist die Gewissheit, dass ein einfaches Ja oder Nein keine Antwort ist, egal auf welche Frage. Rittmeyers Figuren können nicht anders, als in den absonderlichsten Volten und Variationen über Hartschaumzehenspreizer, Katzenkratzschutzkragen oder die Trennstäbe an der Kasse im Supermarkt zu philosophieren.
Der Träger des Salzburger Ehrenstier 2021, Joachim Rittmeyer, mutet seinem Publikum einiges zu. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt und früher oder später süchtig nach seinen Alltagshelden, die alle längst gescheitert sind und trotzdem niemals aufgeben. Süchtig auch nach Rittmeyer-Erfindungen wie den «Primsätzen» (1976), jenen Sätzen, die sich mit nichts als sich selbst teilen lassen. Wollte die Jury des Salzburger Stiers ihren Entscheid als Primsatz formulieren, würde er lauten: «Der Ehrenstier für Joachim Rittmeyer ist mehr als verdient!»