2023
Preisträger:innen
Der Anzug sitzt perfekt, ebenso wie die politischen Pointen: So kennt man Dominic Deville dank seiner sonntäglichen Late-Night-Show. Aber das ist ein «Devil in Disguise»: Denn auf den Kleinkunst- und Konzertbühnen ist Deville eine echte Rampensau. Ein Mann, der sich ins Publikum wirft, auch wenn dieses noch nie etwas von «Stage diving» gehört hat; einer, der schon mal seine Gitarre auf der Bühne zertrümmert.
2016 startete er seine TV-Karriere als Late-Night-Entertainer. Heute, nach über 130 Sendungen «Deville», hat sich der charmant unverschämte Kabarettist zur unverzichtbaren Stimme der Schweizer Politsatire gemacht.
Dabei raste der Anarchist mit der unverkennbaren Stimme schon Jahre vor seiner Bildschirm-Bekanntheit wie ein Komet über die verschiedensten Bühnen. Ob als Mitglied der Punk-Band «Failed Teachers», mit seinen wilden «Taro-Shows» und «Vinyl-Hinrichtungen», bei denen er auch gerne mal mit Kettensäge oder Flammenwerfer hantiert hat. Oder mit seinen Bühnen-Programmen «Kinderschreck», «Bühnenschreck» und aktuell «Pogo im Kindergarten» (dem Programm zu seinem gleichnamigen Buch) – der gelernte Kindergärtner und Punkmusiker rockt und euphorisiert die Kleinkunstszene. Auch dann, wenn er als Moderator im Casinotheater Winterthur durch die Talentschau «Rampensau» und im Theater Hechtplatz durch den «Bösen Montag» führt und national noch kaum bekannte Musiker:innen und Künstler:innen präsentiert. Er macht das mit sicherem Händchen für Qualität und höheren Blödsinn. Jetzt beweist die Schweizer Jury des Salzburger Stiers «Händchen» und zeichnet Dominic Deville mit dem Salzburger Stier 2023 aus.
Malarina: Serben sterben langsam
„Malarina“ heißt im wirklichen Leben Marina Lacković. Als Kabarettistin ist sie erst seit 2019 aktiv und begeistert ihr Publikum mit einem listigen wie pointenreichen Mix aus angewandter Völkerkunde, politischer Satire und komödiantischer Aufarbeitung des von Stolz und Vorurteilen geprägten Verhältnisses zwischen Österreich und Serbien.
Geboren wurde Malarina in Picka Materina, einem kleinen serbischen Dorf, das ohne Autobahnanschluss auskommen musste. Zu Beginn der 1990-er Jahren kamen ihre Eltern als Gastarbeiter nach Tirol. Malarina weiß heute als gelernte Tirolerin serbischer Herkunft das Repertoire altbekannter Klischees auf der Bühne treffsicher einzusetzen. 2011 zog es die Künstlerin nach Wien: für Malarina die Hauptstadt der Misanthropie. Dort startete sie im Politically Correct Comedy Club der Queer Community ihre Bühnenkarriere. In ihrem ersten Solo „Serben sterben langsam“, dessen Titel als Anspielung auf den Propaganda-Spruch "Serbien muss sterbien" aus dem Ersten Weltkrieg zu verstehen ist, verhandelt die Bühnenfigur die große europäische Geschichte aus serbischer Perspektive. Zusätzlich bietet Malarina auch unterhaltsame Einblicke in Sitten und Gebräuche des Balkans und startet den ambitionierten Versuch, mit Kabarett zur Völkerverständigung beizutragen: und zwar zwischen den Schwabos, den Deutschsprachigen, den Tschuschen, den ursprünglichen Gastarbeitern aus Ex-Jugoslawien und den „Elite“-Tschuschen von heute. Eine perfekte austro-serbische Melange aus Zeitgeschichte und Klischees, aus klugem Witz und inspirierter Bühnenperformance; eine satirische Reise entlang der Balkanroute von Sarajewo nach Wien, auf den Brunnenmarkt.
Einst zählte der gebürtige Würzburger gemeinsam mit seinen Kollegen vom "Ersten Deutschen Zwangsensemble" zu den jungen Wilden des Kabaretts. Zahlreiche Soloprogramme und Auszeichnungen später gehört Mathias Tretter zu den etablierten Kräften auf deutschsprachigen Bühnen und zu den profiliertesten Satirikern des Digitalzeitalters.
Mathias Tretter war und ist immer ganz nah dran am Puls der Zeit: In seinen Programmen geht es um die gleichermaßen demokratisierende wie verdummende Kraft des Internets, um den allgegenwärtigen Zwang zur Selbstoptimierung, um virtuelle Freunde und twitternde Präsidenten, um asoziale Netzwerke und bizarre Trends, um den Siegeszug des Populismus in Politik und Gesellschaft, um die Fallstricke der politischen Korrektheit und der Identitätspolitik. Dicke Bretter, die Tretter intelligent und verspielt zu bohren versteht, mit anarchischem Witz und einer atemberaubenden Pointen-Dichte, auf der Bühne, bei Fernsehauftritten und in Radio-Kolumnen.
Der Weg zum Vollzeit-Kabarettisten
Mathias Tretters analoge Laufbahn als Kabarettist beginnt in seiner Heimatstadt Würzburg. Als Pflege-Zivi beim Arbeiter-Samariter-Bund schreibt er seine ersten satirischen Texte. Während seines Studiums in Würzburg, Heidelberg und Edinburgh verfasst er neben Seminararbeiten in Germanistik und Anglistik Kabarett-Nummern, die er in der Würzburger Comedy Lounge präsentiert. Nach seinem Uni-Abschluss nimmt die Kabarett-Karriere Fahrt auf: "Die Brille zur Macht" (2003), sein erstes Bühnenprogramm, betrachtet die Welt durch die Augen des renitenten Gefängnisbibliothekars Lorenz Lauer. Ein Jahr später konstatiert Mathias Tretter das "endgültige Scheitern der sozialen Integration": Er ist nun Vollzeit-Kabarettist und mittlerweile als Wahl-Leipziger auch Vollzeit-Ostdeutscher. Im WM-Sommer 2006 betätigt sich Mathias Tretter als Spielverderber: Anstatt eines Sommermärchens präsentiert er den Zuschauern sein zweites Programm "Deutschland – ein Gummibärchen". Parallel dazu blickt er in seiner kabarettistischen Revanche „NachgeTRETTERt!“ auf das politische und gesellschaftliche Geschehen des jeweils vergangenen Jahres zurück.
2008 erhält Mathias Tretter als "Senkrechtstarter" den Bayerischen Kabarettpreis. Weitere namhafte Auszeichnungen folgen, unter anderem gleich zweimal der Deutsche Kabarettpreis (2009 Förderpreis, 2017 Hauptpreis).
Jung, wild und erfolgreich
Nebenbei nimmt sich Mathias Tretter Zeit für das "Erste Deutsche Zwangsensemble" – eine Art Task Force des jungen deutschen Kabaretts. Gemeinsam mit Claus von Wagner und Philipp Weber sagt Mathias Tretter den "Nachwuchsdampfplauderern" den Kampf an und erobert die Szene im Sturm. Die drei sind dabei nach eigener Aussage "zynisch im Blick auf die Welt, kompromisslos in der Wahl der Mittel und einsam im Kampf um das Wahre". Für seine "raffinierte Form des Ensemble-Kabaretts" und seine "ungebremste Spielfreude" erhält das Trio unter anderem 2007 den Salzburger Stier für Deutschland und 2010 den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte "Kabarett".